Quasi bei Nacht und Nebel brachen an einem Sonntag im März zahlreiche Fahrlehrerinnen und Fahrlehrer aus Berlin und Brandenburg mit ihren Pkw auf, um Sehbehinderten und Blinden zum wiederholten Male das Autofahren zu ermöglichen. Während an der Beratungsstelle des Allgemeinen Blinden- und Sehbehindertenvereins Berlin (ABSV) in Grunewald sogar ein Bus der Fahrschule am Fennpfuhl einen Großteil der Teilnehmer abholte, wurden die anderen von Fahrlehrern in ihren Fahrschul-Pkw von den Treffpunkten am S-Bahnhof Oranienburg, S-Bahnhof Ahrensfelde und eben beim ABSV zum Driving Center in Groß Dölln gefahren. Und das mit dem Nebel stimmte auch. Wer über Nassenheide fuhr, sah dort über den Wiesen reichlich davon, sodass man am Bahnübergang schon genau hinschauen musste, ob sich nicht doch ein Zug nähert.
In Groß Dölln wurde man allerdings von schönstem, sprich sonnigem Wetter, empfangen, das den ganzen Tag über anhielt. Rainer Sperling hatte auch diesmal die Veranstaltung in gewohnter Weise größtenteils organisiert und begrüßte etwa 265 Teilnehmer und circa 40 Fahrlehrer, die sich teils als Helfer und teils vor allem mit ihren Fahrzeugen zur Verfügung stellten. Die stellvertretende Templiner Bürgermeisterin richtete Grußworte an die Anwesenden. Paloma Rändel vom ABSV bedankte sich im Namen der Teilnehmer bei den Fahrlehrern, die ihren Sonntag opferten und ihre Fahrzeuge für das Ereignis bereitstellten.
Für den Fahrlehrerverband Land Brandenburg begrüßte der Vorsitzende Dietmar Zimmermann die Anwesenden und für den Fahrlehrerverband Berlin tat dies Reinhard Kendziora in Vertretung des noch auf Reisen befindlichen Vorsitzenden Peter Glowalla. Als letztes ergriff Anja Urban vom Driving Center Groß Dölln das Wort und erntete prompt ausgiebigen Dank aller Beteiligten, da sie mit der kostenlosen Bereitstellung des Geländes diese Veranstaltung überhaupt ermöglicht hatte. Zusätzlich stellte sie einen Überschlagsimulator zur Verfügung und hatte Motorradfahrer organisiert, die mit den Teilnehmern ihre Runden drehen sollten.
Zu Beginn erfolgte eine Einführungsrunde für die Fahrlehrer, die zunächst den veränderten Kurs kennenlernen sollten. Ferner bot sich für die „neuen“ Fahrlehrer die Möglichkeit, mit einer Augenbinde selbst wie ein Blinder auf Anweisung eines Kollegen den Kurs zu fahren. Eine sehr eindrucksvolle Erfahrung! Dann allerdings kamen die Teilnehmer zum Zuge. In einer nicht enden wollenden Schlange rückten sie geduldig nach und nach bis zum Einstiegspunkt vor und stellten sich in der Regel anschließend wieder hinten an. Die Fahrschulautos rollten nahezu ohne Unterbrechung. Einige Kollegen fuhren bis weit über die Mittagspause, bis sie sich zum ersten Mal eine Verschnaufpause gönnten. Um ehrlich zu sein: Wenn sich ein paar mehr Fahrschulen beteiligt hätten, wäre die Lage entspannter und die Warteschlange vermutlich kürzer gewesen.
Viele Teilnehmer waren schon zum wiederholten Mal dabei. Zu erkennen war dies nicht zuletzt an diversen Wünschen. Man wolle doch auch einmal einen Automatikwagen fahren. Am liebsten einen BMW. Es musste sich schon herumgesprochen haben, dass tatsächlich ein solches Fahrzeug vorhanden war. Dem Manne konnte geholfen werden, auch wenn er dafür etwas länger warten musste. Mehrere Teilnehmer wollten sich bei ihrer Fahrt möglichst nicht von ihrem Blindenhund trennen. Also kamen die begleitenden Vierbeiner mal in den Kofferraum, mal auf einer hervorgezauberten Decke auf den Rücksitz. Nach einer solchen Fahrt war dann allerdings von einem Kollegen zu hören: „Mensch, als wir die Vollbremsung gemacht haben, hatte ich den Hund im Kofferraum völlig vergessen“. Dieser kletterte allerdings mopsfidel wieder aus dem Auto, als sei nichts Besonderes geschehen.
Einige Fahrlehrer wurden zeitweise von der zahlreich anwesenden Presse in Beschlag genommen. Reporter und Filmteams wollten möglichst viele Eindrücke einfangen, befragten Fahrlehrer und Teilnehmer und fuhren ausgiebig in den Fahrzeugen mit. Soweit bekannt, haben sich auch hier die befragten Teilnehmer recht positiv über die Veranstaltung geäußert. Allenfalls wurde bedauert, dass der Kurs etwas kürzer ausfiel als beim vergangenen Mal. Dies aber war den Umständen des Driving-Centers geschuldet und ließ sich leider nicht ändern. Dass es trotzdem den Beteiligten viel Spaß bereitet hat, konnte man an den Gesichtern ablesen. Erst gegen 17.00 Uhr war die Luft raus und alle Teilnehmer wurden von den Kollegen wieder wohlbehalten an ihre Abfahrtsorte gebracht.
Welches Interesse diese Veranstaltung regelmäßig hervorruft, lässt sich daran erkennen, dass Teilnehmer zum Beispiel aus Hamburg und anderen Städten angereist kamen und sogar ein Kollege mit seinem Fahrschulfahrzeug aus Baden-Württemberg (!) nach Berlin gekommen ist. Wir möchten hiermit allen Kolleginnen und Kollegen, die sich an diesem Sonntag Zeit genommen und ehrenamtlich „gearbeitet“ haben, ausdrücklich danken. Wir haben an diesem Tag vermutlich viel Freude bereitet und vielleicht sogar selbst ein wenig hinzu gelernt. Wer diesmal nicht dabei war, kann sich anhand der Bilder einen kleinen Eindruck davon verschaffen, welche Einsatzfreude hier und welche Begeisterung dort diese Veranstaltung mit sich brachte.
(Reinhard Kendziora)
Kommentar: Zum Sinn und Zweck dieser Veranstaltung
Was soll denn das für einen Sinn haben, mit Blinden Auto zu fahren? So werden wir Fahrlehrer immer wieder gefragt.Blinden und sehbehinderten Menschen zu ermöglichen, einmal selbst Auto zu fahren und ihnen damit einen Herzenswunsch zu erfüllen – das wäre an sich schon Grund genug. Selbst zu erleben, welche Herausforderungen Blinde im Alltag meistern müssen – ist der weitaus wichtigere Grund. Die Fahrlehrer erfahren an einem solchen Tag auch von den Problemen, die blinde und sehbehinderte Menschen im Straßenverkehr haben, und können dieses Wissen anschließend überzeugend an ihre Fahrschüler weitergeben. Sich von den Blinden selbst erzählen zu lassen, wie oft sie sich grün und blau an parkenden Autos stoßen, die in den Gehweg ragen, welche lebensgefährlichen Situationen für sie an Kreuzungen mit grünem Blechpfeil täglich entstehen und welche Ängste bereits jetzt gegenüber nahezu geräuschlosen Elektroautos bestehen, gibt einen eindrucksvollen Perspektivenwechsel. Autofahren mit blinden und sehbehinderten Menschen ist gelebte Inklusion.
(Peter Glowalla)