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„Wir brauchen Prüfer!“

04.07.2023 12:00 Uhr | Lesezeit: 7 min
Der neue Vorstand der Berliner Fahrlehrer (v. l.): Sven Denker (2. Stellvertreter), Funda Cetinkaya (4. Stellvertreterin), Stephan Ackerschewski (Mitte), Ulrike Siouani (3. Stellvertreterin) und Christiane Jordan (1. Stellvertreterin) 
© Foto: Thomas Cyganek

Der Fahrlehrerverband Berlin hat eine intensive Jahreshauptversammlung hinter sich. Am 24. Juni trafen sich 180 Fahrlehrer im Hotel Estrel und wählten unter anderem neue stellvertretende Vorsitzende.

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Den Auftakt im offiziellen Teil am Vormittag machte Bianca Bredow, Geschäftsführerin des Instituts für Prävention und Verkehrssicherheit (IPV). Sie gab einen Überblick über die elektronische Lernstandsbeurteilung eLBe und stellte deren Nutzen da. So sollen Fahrlehrer damit systematisch beurteilen können, wie gut die Fahrschüler ihre Aufgaben bewältigt haben. Außerdem solle die Ausbildung damit rechtssicher dokumentiert werden können. Gerade mit Blick auf die geplante Reform der Fahrschul-Ausbildungsordnung, in der Lernkontrollen gestärkt werden sollen, sie eLBe ein Instrument, „mit dem wir uns beschäftigen sollen“, sagte Bredow. Lernstandsbeurteilungen stellen Studien zufolge einen der wichtigsten Einflussfaktoren für den Prüfungserfolg dar. eLBe ist über die Fachverlage beziehbar. Die IPV-Geschäftsführerin betonte außerdem, wie wichtig die Kenntnisbereiche Verkehrswahrnehmung und Gefahrenvermeidung für Fahrschüler seien. Dazu verwies sie auf die Website www.regio-protext-brandenburg.de, auf der in einer interaktiven Karte Brandenburgs Unfallschwerpunkte und Gefahrenschwerpunkte ermittelt wurden und virtuell befahren werden können. Die gewonnen Erfahrungen können zusammen mit dem Fahrlehrer in der Ausbildung ausgewertet werden. Auf der Website stehen außerdem viele weitere Projektmaterialien für den Unterricht bereit.

TÜV: “Prüfer kein Traumjob”

Andreas Röse vom TÜV Rheinland gab einen Überblick zum Berliner Prüfgeschehen. „Es gab und gibt objektiv Probleme bei der Prüfungssituation“, gab er zu, „das bedaure ich sehr. Bisher ist es uns nicht gelungen, dieses Thema weitestgehend zur Zufriedenheit zu klären“. Eigentlich stehe man aber in Berlin – auch dank der guten Zusammenarbeit mit der Senatsverwaltung - „ganz gut da“, meinte der TÜV-Vertreter: So habe man 2022 in der Theorie 1.811.053 Prüfungen abgehalten (2021: 1.734.551), in der Praxis waren es 1.756.229 (2021: 1.617.849). Man habe dabei über dem „starken Niveau von 2019 gelegen, trotz 22 Prozent mehr Zeitbedarf pro Prüfung“. Röse wies außerdem auf die besonderen Herausforderungen hin, denen sich die Prüforganisation 2022 coronabedingt gegenübersah. So habe man kurzfristige Ausfälle durch Krankheit oder Quarantäne bei 15 bis 20 Prozent der geplanten Prüfungen verkraften müssen.

Der TÜV Rheinland rekrutiere und bilde laufend neue Prüfer aus, alle Ausbildungslehrgänge seien voll belegt, betonte er. In Berlin gebe es seit 1.6.2023 vier neue Prüfer – und das, „obwohl es kein Traumjob ist, Prüfer zu sein“. Man habe deswegen Schwierigkeiten, Prüfer zu bekommen. Positiv sah Röse die Berliner Bestehensquoten, die stadtweit sogar steigen, „Gut so“, lobte er die Fahrlehrer, „über alle Klassen hinweg sind wir 16 Prozent über dem Niveau von 2022“

„2023 wollen wir die Herausforderungen meistern, das gelingt aber nur im guten Miteinander“, sagte er. Der TÜV biete nicht immer das, was vom ihm erwartet werde, sagt er, aber teilweise seien auch „die Erwartungshaltungen zu hoch“. Man nehme Gespräche immer an und suche Lösungen, wo es nur gehe. „Ich hoffe auf konstruktive Zusammenarbeit.“ 

Dekra: „Täuschungsversuche wie im Spionagefilm“

Auch Thomas Riedel, Leiter Fahrerlaubniswesen der Dekra, gab Zahlen seiner Prüforganisation für Berlin bekannt. So habe es 2022 in der Theorie 5,6 Prozent weniger Prüfungen gegeben als 2019, in der Praxis waren es -2,8 Prozent. Bei den Erfolgsquoten sei man 2022 im Vergleich zum Vorjahr etwas „im Minus“. In der Theorie wurden 54,2 Prozent der Prüfungen bestanden (2021: 56,3). In der Praxis waren es 62,8 Prozent (2021: 63,5).

Immer ein Ärgernis seien die Täuschungsversuchen, die teilweise „wie im Spionagefilm“ daherkämen. Und es werde immer öfter getäuscht. „Wir werden sehen, ob sich etwas mit dem verlängerten Sperrfristen der 15. ÄndVO zur FeV ändert“, sagt er. Bisher seien noch keinen Auswirkungen zu sehen. Riedel wies noch auf eine aktuelle Dekra-Befragung von Fahrschulen und Bewerbern hin, bei der herauskam, dass 84 Prozent der Befragten mit der Praktischen Fahrerlaubnisprüfung der Prüforganisation sehr zufrieden seien.

„Wir haben hier in Berlin eine angespannte Situation und arbeiten mit Hochdruck an weiteren Maßnahmen, um Abhilfe zu schaffen“, sagte Riedel. Der Aufbau von Personal werde weiter vorangetrieben, Prüfer aus anderen Bundesländern würden eingesetzt. Seit Ende 2022 würden zusätzliche Termine angeboten. Derzeit prüfe man außerdem den Mehrschichtbetrieb. Anfang 2023 habe Dekra gezeigt, dass man die Lage schnell in Griff bekomme.

Stephan Ackerschewski, der Verbandsvorsitzende der Berliner Fahrlehrer, hakte hier ein: „Wir wissen, dass es schwierig ist, Prüfer zu bekommen. Aber wir brauchen ‚hinten rechts‘ keine hochausgebildeten Ingenieure“, stellte er klar. Das Kraftfahrtsachverständigen-Gesetz biete hier Möglichkeiten. „Lassen Sie uns daran arbeiten“, bot er an. Außerdem bemängelte er, dass die TP telefonisch fast gar nicht oder nur sehr schwer erreichbar seien. Hier müsse deutlich nachgebessert werden.

BVF: „Es lohnt sich, Fahrlehrer zu werden“

Ralf Nicolai vertrat als 2. Stellvertretender Vorsitzender die BVF und lieferte Informationen und Zahlen zur Entwicklung des Berufsstands. So seien die durchschnittlichen Preise für eine normale Fahrstunde sowie die Gesamtkosten für den Führerschein in den vergangenen beiden Jahren gestiegen. „Die Geschäfte laufen derzeit gut“, sagte er. Auch das Gehalt der Fahrlehrer sei zwischen 2019 und 2021 mehr als zehn Prozent gestiegen, „es lohnt sich also wieder, Fahrlehrer zu werden.“ Der Frauenanteil sei seit 2015 um 27 Prozent gewachsen, der Männeranteil um 3,5 Prozent gefallen. Laut KBA gibt es derzeit 44.953 Menschen mit Fahrlehrerlaubnis, etwas weniger als 2015. Sorgen macht Nicolai nach wie vor das Alter des Berufsstands: 59 Prozent sind derzeit älter als 55 Jahre.

Er gab im Anschluss einen Überblick über aktuelle Gesetzesvorhaben, die den Berufsstand betreffen. So sei derzeit ein erster Vorschlag einer Novelle der 3. EU-Führerscheinrichtlinie im Gang. Die Umsetzung in nationales Recht dauere jedoch noch mindestens zwei Jahre. „Das wird ein Schwerpunkt unserer Arbeit werden“, sagte er, „da wir mit einer Richtlinienänderung im nächsten Jahr rechnen müssen“.

Auch das Thema Onlineunterricht beschäftigt derzeit die Fahrlehrer: Bund und Länder würden derzeit unter Ausschluss der Verbände darüber verhandeln. „Ergebnisse wurde bislang nicht veröffentlich“, sagte Nicolai. Aber es sei damit zu rechnen, dass auch künftig Fahrschulen den kompletten Unterricht als Präsenzunterricht anbieten können. Online-Unterricht werde auch künftig möglich sein. „Das wird uns weiter stark beschäftigen. Gemeinsam sollten wir für ein Konzept des Blended Learnings kämpfen und dabei beachten, dass der Präsenzunterricht nicht verloren geht.“

FV: Ausbildung dokumentieren!

Michael Kohl, Leiter Vertrieb der Fahrlehrerversicherung, wies in seinen Ausführungen daraufhin, wie wichtig es ist, die Fahrschulausbildung sauber zu dokumentieren, zum Beispiel, wenn es vor Gericht um die Schuldfrage bei Motorradunfällen geht. Richter, die diese Frage entscheiden, würden sich an den Fakten orientieren. „Nutzen Sie deshalb Lernerfolgskontrollen wie zum Beispiel eLBe dafür“, sagte er.

Kohl stellte die neue Unfallversicherung des Stuttgarter Branchenversicherers vor und die Leistungen, die die Tarifgruppen Basis, Komfort und Premium – in der Fahrlehrer automatisch versichert sind – enthalten. Besonders am Herzen lag ihm das Assistance-Paket, das zum Beispiel telefonische Beratung bei jedem Unfall bietet und Rehabilitationsmaßnahmen bis 50.000 Euro und maximal drei Jahre unterstützt.

Die Fahrlehrerversicherung plant außerdem eine neue Wohngebäudeversicherung. Viele Gebäude seien nicht gegen Elementarschäden versichert, die Besitzer das aber oft gar nicht wüssten, da es diesen Schutz erst seit ein paar Jahren gebe. Jeder solle einmal in seiner Police nachsehen, empfahl er, ob der Schutz integriert sei und bei Bedarf nachjustieren.

Der Anteil an E-Fahrzeugen sei in den Fahrschulen stark gestiegen, und viele hätten mittlerweile eine Wallbox, um die Fahrzeuge aufzuladen, fuhr Kohl fort. Diese seien nicht automatisch mitversichert. Problematisch könne es werden, wenn es zum Beispiel beim Laden durch einen technischen Defekt zu einem Brand kommt. Die Fahrlehrerversicherung biete deshalb an, die Ladesäulen ohne Aufschlag mitzuversichern. Zum 1. April wurde laut Kohl außerdem ein Fahrerschutz für Lehr-Lkw und -Busse eingeführt.

„Wir haben unsere Beiträge im letzten Jahr nicht erhöht, aber die Kosten sind auch bei uns gestiegen“, sagte er. Deswegen sei eine Beitragserhöhung für Neu- und Ersatzgeschäfte notwendig geworden. „Erst zum nächsten Jahreswechsel wollen wir uns die bestehenden Verträge anschauen und die Prämien neu kalkulieren.“

OFSA-II-Kompetenzrahmen „mehr als sicher“

Den Auftakt im internen Teil am Nachmittag machte Harry Bittner, der Landesvorsitzende des Thüringer Fahrlehrerverbands. Er vertrat die BVF und zeigte den Weg zur optimalen, zeitgemäßen Fahrausbildung“, wie sein Vortrag hieß.

25 Jahre sei die Fahrschüler-Ausbildungsordnung sowie deren Anlage 1 bereits alt, sagte er. Mit Blick auf die seit 1998 immens gestiegene Zahl der Fahrzeuge sowie auf Fahrschüler, die mehr und mehr Zeit am Handy verbringen, aber offenbar kaum Zeit für die Fahrausbildung haben, sah er „Sanierungsbedarf“ in der Fahrschulbranche.

Bittner stellte das Ausbildungskonzept OFSA II vor, dessen Kompetenzrahmen „mehr als sicher“ kommen werde, sagte er. Noch nicht geklärt sei, welche Lektionen in Präsenz, synchron und asynchron stattfinden werden. OFSA II habe aber auch einige Nachteile, etwa einen „aufwendigen, kniffligen Aufbau“, der im Fahrschulalltag schwierig umsetzbar sei.

Dennoch stellt sich die BVF nicht gegen die Änderungen der Unterrichtsformen bei der Ausbildung von Fahrschülern. Man stehe hinter OFSA II, bekräftigte Bittner. Es müssten neue Aufgabenformate für die Fahrerlaubnisprüfung entwickelt werden. Diese müssten sich am Anwendungswissen orientieren und Theorie mit Praxis verbinden. „Wir müssen weg vom reinen Faktenwissen und hin zum Anwendungswissen“, sagte Bittner.

Die Einführung synchroner Online-Unterrichtsformate „mit der Brechstange“ führt seiner Ansicht nach zu keiner Qualitätsverbesserung der Fahrausbildung. Bittner: „Bei E-Learning-Angeboten ist stets zu fragen, wie sich diese Angebote auf die Qualität einer guten Fahrschulausbildung auswirken.“

Jahresbericht und Neuwahlen der Stellvertreter

Vor seinem Jahresbericht hatte Verbandsvorsitzender Stephan Ackerschewski noch ein paar Anmerkungen zur Prüfsituation in Berlin: Diese sei „unterirdisch“, klagte er, „wir brauchen Prüfer!“ Er liege Senat und TP schon lange in den Ohren, Ausnahmen des Kraftfahrtsachverständigen-Gesetzes zuzulassen, Jetzt sei man „kurz davor“. Seiner Ansicht nach reicht eine zehnwöchige pädagogische und psychologische Ausbildung für Prüfer, um diese zeitnah auszubilden. „Wozu braucht es zwei Jahre Technikstudium?“, fragte er. Die Senatsverwaltung blockiere da, sodass die Fahrschulen ihre Ausbildungszeit verkürzen müssten. 

In seinem Jahresbericht zählte er 134 Termine auf, die Ackerschewski und sein Team 2022 wahrgenommen haben. Der Verband hat – Stand 1.6.23 – 393 Mitglieder und damit elf mehr als zum Vorjahreszeitpunkt. Im kommenden Jahr hofft der Verband, deutlich über 400 Mitglieder in seinen Reihen zählen zu können. Der Verbandsvorsitzende berichtete von der Arbeit der zahlreichen Arbeitskreise (Nutzfahrzeuge, Motorrad, Fahrrad, FE-Prüfung), vom Treffen des Fahrlehrer-Prüfungsausschusses und von der Motorrad-Saisoneröffnungsfahrt. Sein Dank galt hier den AK-Leitern Sabine Koch, Bernd Ferme, Sven Triepel, Bernd Palm, Stephan Schieke, Guido Schweinberger und Sven Denker. Der Berliner Verband sei außerdem sehr aktiv bei Fortbildungen, sagte er, etwa zum Fahraufgabenkatalog oder zum Büromanagement, außerdem gab es Präventionsveranstaltungen mit der Berliner Polizei.

Ackerschewski dankte und verabschiedete im Anschluss Reinhard Kendziora, der 28 Jahre als 1. Stellvertreter für den Berliner Verband gearbeitet hat.                                            

Nach der einstimmigen Entlastung des Vorstands standen Wahlen der vier Stellvertreter auf der Tagesordnung. Christiane Jordan wurde auf den Posten der 1. Stellvertreterin gewählt, Sven Denker ist neuer 2. Stellvertreter, Ulrike Siouani ist 3. Stellvertreterin und Funda Cetinkaya 4.  Zusätzlich wurden nach 16 Jahren Kassenprüfertätigkeit auf eigenen Wunsch die beiden Kollegen Gerhardt Anklam und Dieter Hoppe in der Ruhestand verabschiedet.


Mitgliederversammlung Berlin 2023

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