Vor dem Siegeszug der Touchscreens hatten Schalter und Tasten im Fahrzeug fest zugewiesene Funktionen: Sitzheizung, Klimaanlage, Autoradio – alles konnte im Zweifelsfall ertastet werden, ohne den Blick von der Straße abzuwenden. Anders gestaltet sich heute die Situation bei der Bedienung diverser Funktionen über ein Display, meist mit komplexer und aufmerksamkeitsfordernder Menüführung.
Aufmerksamkeit wandert zum Display: Kurzzeitiger Blindflug
Um zur gewünschten Funktion zu gelangen, gilt es in der Regel, sich zunächst durch ein Navigationsmenü hindurchzuklicken. „Die Crux dabei ist: Der Fahrer bzw. die Fahrerin muss dazu den Blick vom Geschehen im Straßenverkehr abwenden und die Aufmerksamkeit der Bedienung des Displays widmen. Und das kann hochgefährlich werden“, erläutert Isabella Finsterwalder, Pressesprecherin des Automobilclub KS e.V. Denn während der Blick auf das Display wandert, wird die Strecke im Blindflug zurückgelegt. Bei einer Geschwindigkeit von 50 km/h sind das pro Sekunde knappe 14 Meter, auf der Autobahn bei 120 km/h in einer Sekunde sogar rund 33 Meter.
Rechtliche Situation: angepasste Blickzuwendung zum Gerät
Wie sieht es rechtlich mit der Benutzung elektrischer Geräte bzw. Displays beim Fahren aus? § 23 (1a) der Straßenverkehrsordnung (StVO) sieht vor, dass der Fahrzeuglenker während des Fahrens „ein elektronisches Gerät, das der Kommunikation, Information oder Organisation dient oder zu dienen bestimmt ist, nur benutzen [darf], wenn hierfür das Gerät weder aufgenommen noch gehalten wird und entweder nur eine Sprachsteuerung und Vorlesefunktion genutzt wird oder zur Bedienung und Nutzung des Gerätes nur eine kurze, den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen angepasste Blickzuwendung zum Gerät bei gleichzeitig entsprechender Blickabwendung vom Verkehrsgeschehen erfolgt oder erforderlich ist.“ KS Pressesprecherin Finsterwalder: „Der springende Punkt ist hier die angepasste Blickzuwendung zum Gerät. Muss beispielsweise in einem Untermenü erst langwierig nach dem Abblendlicht oder der Scheibenwischergeschwindigkeit gesucht werden, kann schnell ein Fußgänger oder ein ausscherendes Fahrzeug übersehen oder der Sicherheitsabstand zum vorausfahrenden Auto unterschritten werden.“
Studie bekräftigt gestiegene, unterschätzte Ablenkung der Autofahrer
In ihrer Studie „Ablenkung und moderne Technik“ aus 2023 konnte die Allianz aufzeigen, dass die Fahrerablenkung durch moderne Technik – was die Benutzung von Handys während der Fahrt mitberücksichtigte – deutlich gestiegen ist. Seit mittlerweile drei Jahren hat auch die Polizei die Kategorie „Ablenkung“ in ihre Unfallaufnahme integriert. Damit schlagen sich diese Zahlen ebenfalls in den entsprechenden amtlichen deutschen Statistiken nieder.
Konkret verletzten sich 2021 laut Statistischem Bundesamt 8233 Menschen bei Unfällen, in denen Ablenkung eine Rolle spielte. 117 Menschen starben, was fast fünf Prozent aller Getöteten (2.562) entspricht. Für Jörg Kubitzki, Studienautor und Sicherheitsforscher im Allianzzentrum für Technik, bestätigt sich erstmals für Deutschland, dass Ablenkung heute die am meisten unterschätzte Unfallursache auf unseren Straßen ist.