„Der linke Fahrstreifen auf Autobahnen ist fürs Überholen gedacht. Diese Funktion kann er kaum mehr erfüllen, wenn er durch anhaltendes Linksfahren über weite Strecken blockiert wird“, sagt Denis Preissner, Unfallforscher bei DEKRA. Er verweist darauf, dass die StVO auch auf Autobahnen verlangt, möglichst weit rechts zu fahren. Ziel ist es, den zur Verfügung stehenden Verkehrsraum optimal auszunutzen und den Verkehr flüssig zu halten. „Wer länger als nötig auf dem linken Fahrstreifen bleibt, verursacht häufig Abbremsmanöver und schafft Situationen, die Aggressionen aufbauen und gefährliches Verhalten zur Folge haben können – etwa zu dichtes Auffahren oder Rechtsüberholen“, erklärt der Unfallforscher. Oft setzt sich die Bremsverzögerung in der Kolonne nach hinten fort, woraus oftmals Staus oder Auffahrunfälle entstehen. Laut der amtlichen Unfallstatistik für 2023 war fast jeder zweite der 19.000 Autobahnunfälle mit Personenschaden ein Auffahrunfall (46,3 Prozent).
Risiko minimieren: Sinnvolle 20 Sekundenregel
Allerdings muss die linke Spur nach dem Überholen nicht bei der kleinsten Lücke geräumt werden, die sich rechts auftut. Eingebürgert hat sich die – von der StVO aber nicht genannte – 20-Sekunden-Regel: Ist innerhalb von 20 Sekunden schon das nächste Fahrzeug zu überholen, kann man auf der linken Spur bleiben. Das ist auch aus Sicht des Unfallforschers sinnvoll: „Folgt auf den Spurwechsel gleich wieder der nächste, dann entstehen womöglich mehr Risiken als durchs Weiterfahren auf der linken Spur. Hier gilt es, vernünftig abzuwägen“, sagt Preissner. Auch bei dichtem Verkehr und nach links abbiegenden Fahrstreifen darf man von Rechtsfahrgebot abweichen.
Bei Hochbetrieb auf dem linken Fahrstreifen kann der Wechsel nach rechts aber auch eine sinnvolle Lösung sein. Oft fließt der Verkehr hier gleichmäßiger, weniger hektisch als auf der Überholspur und ermöglicht entspannteres Fahren. Viele „Linksfahrer“ bleiben aber häufig deshalb länger als nötig auf dem linken Fahrstreifen, weil sie befürchten, nach einem Wechsel hinter dem nächsten langsamen Lkw festzusitzen und nicht mehr auf die Überholspur zurückzukommen. „Die schneller Fahrenden sollten so fair sein, den eingescherten Fahrzeugen die Chance zum Überholen zu geben, wenn diese auf ein langsameres Fahrzeug aufschließen. Dann läuft es für alle besser.“
Keine Option: Schleichen auf der Mittelspur
Gefahrenpotenzial birgt auch das „Schleichen auf der Mittelspur“ auf dreispurigen Autobahnen. Laut StVO dürfen Fahrzeuge bei drei Spuren „den mittleren Fahrstreifen durchgängig befahren, wo – auch nur hin und wieder – rechts davon“ ein Fahrzeug fährt. Das dürfe aber nicht als Freibrief für das Schleichen auf der Mittelspur missverstanden werden, betont der Unfallforscher. „Je langsamer Fahrzeuge in der Mitte fahren, die auch rechts fahren könnten, umso häufiger kann dies nachfolgende Fahrzeuge zu starkem Abbremsen zwingen oder zu riskanten Spurwechseln über zwei Spuren verleiten“, so Preissner. Auch hier kommt es oft zu Unfällen. Kollisionen beim Spurwechsel sind mit 16 Prozent die zweithäufigste Unfallart auf Autobahnen.
Profis fahren vorausschauend
Um das Konfliktpotenzial beim Fahrstreifenwechsel gering zu halten, sollten folgende Regeln beachtet werden: „Fahren Sie vorausschauend und beobachten Sie den rückwärtigen Verkehr in den Rückspiegeln; achten Sie besonders auf die Größe der Lücke sowie die Geschwindigkeit der nachfolgenden Fahrzeuge, machen Sie den Schulterblick und setzen dann den Blinker, bevor Sie ausscheren“, sagt Preissner. „Ganz gleich, ob es um das Befahren des linken oder eines mittleren Fahrstreifens geht: Auf unseren dicht befahrenen Autobahnen ist zügiges und sicheres Vorankommen nur dann möglich, wenn sowohl langsamer als auch schneller Fahrende gegenseitig Rücksicht nehmen und vorausschauend fahren – das ist ohnehin oberstes Gebot im Straßenverkehr. Davon würden alle Beteiligten profitieren“, erklärt der Unfallforscher.