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Mithaftung nicht angeschnallter Personen

15.09.2024 16:50 Uhr | Lesezeit: 6 min
Fahrzeuginsassen haben gemäß Paragraf 21a Absatz 1 der Straßenverkehrsordnung auf ihre Anschnallpflicht zu achten.
© Foto: apops/Fotolia

Die gesetzliche Gurtpflicht ist eine Norm, die auch die anderen Fahrzeuginsassen schützen soll. Aber was gilt, wenn nicht angeschnallte Personen im Fahrzeug andere verletzen, aber selbst kein Unfallverursacher sind? Darüber musste das Oberlandesgericht Köln entscheiden.

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Das Oberlandesgericht (OLG) Köln hat entschieden, dass Fahrzeuginsassen, die entgegen der Gurtpflicht gemäß Paragraf 21a Absatz 1 der Straßenverkehrsordnung nicht angeschnallt sind und dadurch andere Mitfahrer verletzen, selbst haftbar gemacht werden können.

Allerdings kann diese Mithaftung - wie in ähnlich gelagerten Fällen, wo es um eigene Verletzungen geht, zu denen es bei einem Unfall kam, weil man sich selbst nicht angeschnallt hat - hinter der Schuld des Unfallverursachers zurücktreten. Das gilt zum Beispiel, wenn der Unfallverursacher strafwürdig, grob verkehrswidrig und rücksichtlos handelt. Zu diesem Urteil gelangte das OLG nach einer Abwägung des jeweiligen Verschuldens der verschiedenen Parteien (Urteil vom 27. August 2024, Aktenzeichen 3 U 81/23). 

Im verhandelten Fall war der Fahrer, der den Unfall verursachte, mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,76 Promille stark alkoholisiert und fuhr statt der auf der Straße zulässigen 70 km/h mit 150 bis 160 km/h mehr als doppelt so schnell wie erlaubt. Er kam von der Fahrbahn ab und stieß mit einem entgegenkommendem Fahrzeug zusammen, in dem drei Insassinnen saßen. Die auf dem Rücksitz befindliche Person in dem Wagen war nicht angeschnallt. 

Die Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers wollte die auf dem Rücksitz befindliche Insassin des anderen Wagens dazu verpflichten, 70 Prozent der von der Versicherung an die Beifahrerin in sechsstelliger Höhe erbrachten Leistungen zu übernehmen. Der gleiche Anteil sollte auch für künftige Zahlungen gelten.

Als Begründung berief sich die Versicherung auf ein Sachverständigen-Gutachten: Die Nichteinhaltung der Gurtpflicht durch die Insassin auf dem Rücksitz habe dazu geführt, dass deren Knie zum Zeitpunkt des Aufpralls in die Rückenlehne des Beifahrersitzes eingedrungen seien und erhebliche Verletzungen der Beifahrerin im Bereich der Lendenwirbelsäule und des Brustkorbs verursacht hätten. Die Versicherung verklagte die nicht angeschnallte Insassin, bekam aber in erster Instanz nicht recht und ging in Berufung. So landete der Fall vor dem OLG.

Erfolglose Klage der Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers

Auch am OLG blieb die Klage der Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers wegen der behaupteten Verletzungen der Beifahrerin des anderen Fahrzeugs erfolglos. Die Richter bestätigten die Klageabweisung der Vorinstanz.

Der Unfallverursacher habe für die Verletzungen der Beifahrerin des anderen Fahrzeugs zu haften, so die Richter. Sie lehnten eine Mithaftung der nicht angeschnallten Insassin auf dem Rücksitz ab, weil der Gurtpflichtverstoß gegenüber dem erheblichen Verschulden des stark alkoholisierten und die zulässige Höchstgeschwindigkeit erheblich überschreitenden Unfallverursachers vollständig zurücktrete.

Weites Verständnis des Schutzzwecks der Gurtpflicht

Der Bundesgerichtshof gehe von einem Mitverschulden eines Geschädigten aus, wenn dieser sich selbst entgegen seiner Pflicht nicht angeschnallt hat. Es gelte – so das OLG Köln – aber auch für Verletzungen anderer Fahrzeuginsassen. Die Gurtpflicht stelle eine drittschützende Norm im Sinne des Paragrafen 823 Absatz 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) dar, weil die Fahrzeuginsassen gerade auch vor den Folgen der Verletzung durch nicht angeschnallte andere Mitfahrer bewahrt werden sollten.

Die gesetzliche Begründung für die Einführung der Gurtpflicht auf den Vordersitzen aus dem Jahre 1975 stelle darauf ab, dass gerade auch aus Zusammenstößen von Fahrzeuginsassen erhebliche Gefahren herrührten. Die Gurtpflicht sei im darauffolgenden Jahrzehnt auf sämtliche Fahrzeuginsassen ausgedehnt und bußgeldbewehrt worden.

Das vom OLG Köln zugrunde gelegte, weite Verständnis des Schutzzwecks der Gurtpflicht diene der Verkehrssicherheit und dem Schutz der individuellen Rechte aller Verkehrsteilnehmer. Es füge sich in das haftungsrechtliche Gesamtsystem ein. 

Urteil: Noch nicht rechtskräftig

Im konkreten Fall trete angesichts des strafwürdigen, grob verkehrswidrigen und rücksichtslosen Verhaltens des Unfallverursachers und Versicherungsnehmers eine mögliche Mithaftung der nicht angeschnallten Insassin des entgegenkommenden Wagens zurück. In ihrer Abwägung haben die Richter auf die von der bisherigen Rechtsprechung entwickelten Maßstäbe zur Höhe der Mithaftung des Verletzten bei Nichteinhaltung der Gurtpflicht im Falle eigener Verletzungen zurückgegriffen. Sie sind von einem vergleichbaren Ausnahmefall ausgegangen.

Das Urteil des Oberlandesgerichts Köln ist noch nicht rechtskräftig. Die Richter haben die Revision nicht zugelassen. Hiergegen kann die Haftpflichtversicherung eine Nichtzulassungsbeschwerde einlegen, die innerhalb eines Monats ab Zustellung der Entscheidung beim Bundesgerichtshof einzulegen ist. Die Entscheidung ist hier in der Rechtssprechungsdatenbank Nordrhein-Westfalens im Volltext abrufbar.

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