Ein Fahrradfahrer fuhr entlang einer Landstraße auf einem Radweg, der einen Autobahnzubringer kreuzt. Der Autoverkehr hat an dieser Stelle Vorfahrt. Dem Radfahrer kam eine Autofahrerin entgegen, die über diesen Zubringer auf die Autobahn fahren wollte. Als sich die beiden Fahrwege kreuzten, kam es zum Unfall und der Fahrradfahrer wurde schwer verletzt.
Vor dem Landgericht Lübeck verlanget der Fahrradfahrer von der Autofahrerin Schmerzensgeld zu einer Quote von 2/3. Er trug vor, er habe zwar die Vorfahrt missachtet, die Autofahrerin sei aber zu schnell gefahren und habe freie Sicht gehabt. Sie hätte den Unfall also vermeiden können. Die Autofahrerin entgegnete, sie sei von der Sonne geblendet worden und habe den Radfahrer daher erst im letzten Moment gesehen und nicht mehr reagieren können.
Entscheidung nach Zeugenbefragung und Gutachten
Das Landgericht Lübeck hat eine Haftung der Autofahrerin verneint. Es hat Zeugen befragt und ein Gutachten eines technischen Sachverständigen eingeholt. Daraus habe sich ergeben, dass die Autofahrerin nicht zu schnell, sondern eher langsam gefahren sei und keine Zeit mehr gehabt habe zu reagieren. Der Vorfahrtsverstoß durch den Fahrradfahrer wiege so schwer, dass die Betriebsgefahr auf Seiten der Autofahrerin verdrängt werde.
Grundsätzlich haftet der Halter eines Autos immer für Schäden, die durch sein Auto entstanden sind – ganz egal, ob er einen „Fehler“ gemacht hat oder nicht (§ 7 StVG). Das ist die sogenannte Betriebsgefahr. Die dahinterstehende Idee des Gesetzes ist: Ein Auto im Straßenverkehr zu bewegen ist per se gefährlich. Wer das tun will, muss für daraus entstehende Schäden haften (und sich deshalb versichern). Anders kann es aber bei einem schwerwiegenden Fehler des Unfallgegners sein – dann kann die Betriebsgefahr zurücktreten und eine Haftung des Halters ausscheiden.
Das Urteil des Landgerichts Lübeck vom 17.1.2024 (6 O 8/22) ist rechtskräftig.