Als Hendrik Schreiber die Mitgliederversammlung des Fahrlehrer-Verbands Land Brandenburg eröffnete, waltete er seines Amtes als geschäftsführender und zweiter Vorsitzender. Und als Schreiber die Veranstaltung einige Stunden später schloss, tat er dies als frisch gewählter erster Vorsitzender. Nach dem überraschenden Rücktritt seines Vorgängers Marco Dammmüller im Jahr 2018, wenige Monate nach seiner Wiederwahl, stimmten die anwesenden Brandenburger Fahrlehrer für die verbleibende turnusgemäße Amtsperiode bis 2022 einstimmig für den bisherigen Vize, für Schreiber, dessen Enthaltung bei der Wahl per Akklamation Wahlleiter Kurt Bartels, erster stellvertretender Vorsitzender der BVF, augenzwinkernd eingefordert hatte.
Auf die erste Stellvertreterposition rückte Marco Schön nach, der sich als einziger Kandidat zur Verfügung gestellt hatte und per geheimer Wahl legitimiert wurde. Über die beiden Stellvertreterpositionen entscheidet Brandenburg bereits im kommenden Jahr turnusgemäß aufs Neue. So lange wird es nicht dauern, dass der Vorstand valide Aussagen zur Erprobungsphase der elektronischen Lernstandsbeurteilung (eLBe) treffen wird. Schreiber informierte, dass derzeit die Auswertungsgespräche mit allen Fahrschulen liefen, die sich am eLBe-Test beteiligten.
Ist Theorieunterricht zeitgemäß?
Außerdem beschäftigte die Verbandsspitze in den vergangenen Wochen die Frage, ob Theorieunterricht in der Fahrschule noch zeitgemäß ist. Zugegeben, sagte Schreiber, in den Ohren manches Kollegen klingt eine Abschaffung des Theorieunterrichts, der das eine oder andere graue Haar verursacht habe, erst einmal reizvoll. Doch: „Wie wollen wir jemandem per Internet erklären, wann eine Vorfahrt- oder Vorrangregelung an einer gleichrangigen Kreuzung gilt, bei der der von rechts Kommende ein Linksabbieger ist?“ Und auch der Austausch mit anderen Fahrschülern und dem Fahrlehrer sei wichtig, weil deren Erfahrungsberichte emotional verpackt seien. Gleichwohl gelte es natürlich, E-Learning und Blended Learning in den Unterricht zu integrieren.
Im Vorgriff auf den Vortrag von Hauptsponsor Volkswagen äußerte Schreiber Missmut darüber, dass es dem Bundesverkehrsministerium nicht gelungen ist, die EU Kommission von einem Wegfall der Automatikregelung zu überzeugen – dabei habe die Branche gute Hoffnung gehabt, als Ministerialrätin Renate Bartelt-Lehrfeld auf dem Fahrlehrerkongress die Abschaffung des Automatikeintrags in Aussicht gestellt hatte. An die Staatssekretärin aus dem Landesministerium für Infrastruktur und Landesplanung, Ines Jesse, appellierte Schreiber, sie möge alles in ihrer Macht stehende tun, um dieses Thema zu forcieren (Jesse: „Wir sind in diesem Punkt an Ihrer Seite.“). Denn etliche Automobilhersteller, wie eben Volkswagen, würden die Produktion von Schaltfahrzeugen deutlich zurückfahren.
"Einziges Mittel" - Volkswagen strafft Angebot
Dies sollte der Vortrag von Jens Kotschwar, Verantwortlicher für das Fahrschulgeschäft bei Volkswagen, bewahrheiten. Das neue WLTP-Testverfahren stelle für die Automobilhersteller einen deutlich höheren Testaufwand dar als der alte NEFZ-Zyklus. Für die Übergangsnorm Euro 6d-TEMP-EVAP-ISC etwa müsste Volkswagen zusätzlich noch einen Evaporation-Test (EVAP) durchführen, bei dem die Tankatmungsverluste zu messen sind und einen Prüfstandtest, bei dem Autos von der Straße mit einem fabrikneuen Modell verglichen werden (in service conformity = ISC). „Als einziges Mittel“, so Kotschwar, erachtet Volkswagen deshalb die Straffung des Angebots und wird künftig viele Modelle nicht mehr als Schaltgetriebe zur Verfügung stellen. Auch, weil diese auf dem internationalen Markt immer weniger nachgefragt werden, sagte Kotschwar.
Gefragt ist im Flächenland Brandenburg auf jeden Fall AM15, darin waren sich Vorsitzender Schreiber und Staatssekretärin Jesse, die den Ball gerne aufnahm einig. Doch während sich der eine dafür stark machte, dass Jugendliche auch im Grenzgebiet, zum Beispiel zu Berlin, Moped fahren können sollten, berichtete die andere von Widerständen anderer Bundesländer und einer „sehr heterogenen Diskussion“ in der Verkehrsministerkonferenz. Man habe sich im Ringen auf die Optionslösung einigen müssen, die es den Bundesländern erlaubt, zu entscheiden, ob Jugendlich bereits mit 15 Jahren Moped fahren dürfen. „Langfristig muss aber das Ziel sein, dass auch andere Länder diese Option ziehen“, befand Jesse. Dem pflichtete Kurt Bartels bei und wünschte sich sogar eine flächendeckende Regelung für AM15: „Ich kann nur bestätigen, dass man einem 15-Jährigen ohne Weiteres zutrauen kann im fließenden Verkehr mit 45 bis 50 km/h mitzuschwimmen, denn dann ist er wesentlich sicherer unterwegs, als wenn er mit einer Krücke mit 25 km/h fährt.“
Senioren lange mobil machen
Für eine bessere Verkehrssicherheit setzt sich das Brandenburger Ministerium durch Investitionen in Höhe von 600 Millionen Euro in die Verkehrsinfrastruktur, die Verlagerung von Verkehr auf die Schiene und Verkehrssicherheitskampagnen ein. Ein kleiner Erfolg sei der Rückgang der im Straßenverkehr Getöteter: von 148 auf 143 Menschen im Jahr 2018. Allerdings habe es mehr Verletzte gegeben, an denen auch mehr Senioren beteiligt gewesen seien. Diesen, gerade in Zeiten des demografischen Wandels, eine lange sichere Verkehrsteilnahme zu ermöglichen, sei auch eine Aufgabe für die Fahrlehrerschaft.
Hinsichtlich der 13. Änderungsverordnung der Fahrerlaubnisverordnung (FeV) stellte Jesse die vorsichtige, rhetorische Frage in den Raum, ob die getroffenen Änderungen hinsichtlich der Umschreiber wohl ausreichen, wonach sich ein Fahrlehrer künftig von der Prüfungsreife des Bewerbers überzeugen muss. Schreibers Meinung dazu: „Ja, es ist ein guter Schritt, aber nein, es reicht nicht aus. Inhalte zu definieren wäre wichtiger gewesen!“
BVF: Digitalisierung professionell für Fahrschule nutzen!
Als Inhalt seines Referats im Namen der Bundesvereinigung definierte Kurt Bartels das Thema Digitalisierung. Er warf einen prognostizierenden Blick auf unsere Welt in fünf Jahren und erläuterte, dass die Digitalisierung noch viel stärkeren Einzug in sämtliche Lebensbereiche des Menschen halte und Kommunikation, Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Arbeit in uns noch unvorstellbarem Maß verändere – und auch eines Tages dazu führen wird, dass Fahrlehrer nicht mehr gebraucht werden, weil die Fahrzeuge autonom fahren. Bis zu diesem fernen Tag müsse sich die Fahrlehrerschaft jedoch fragen, wie sie die Digitalisierung für die Professionalisierung ihrer Arbeit nutzen kann. Einige Vorzüge, wie die elektronische Fahrschülerverwaltung, Buch- und Betriebsführung wolle ja kein Unternehmer ernsthaft missen.
In nicht allzu ferner Zukunft sei die komplett papierlose Datendokumentation in der Fahrschule zu erwarten mit einer digitalen Ausbildungsbescheinigung. In Niedersachsen werde das demnächst ausprobiert, sagte Bartels. Ebenfalls denkbar: die vorläufige Fahrberechtigung zu digitalisieren und dem Bewerber aufs Handy schicken, bis die physische Karte ausgestellt wurde.
Eine klare Absage erteilte Bartels Gedankenspielen, den theoretischen Unterricht in die elektronische Welt zu verlagern. Zwar könne E-Learning die verkehrspädagogische Lehrtätigkeit unterstützen, aber nur beim Lernen von Faktenwissen und zur „nackten Prüfungsvorbereitung“. Das Erlernen von verkehrssicherem Verhalten funktioniere jedoch nur in der Fahrschule, weil der Straßenverkehr „ein gelebtes, gesellschaftliches Sozialgefüge“ sei, das dem Schüler in der Gemeinschaft vermittelt werden müsse, sagte Bartels. „Wir haben uns der Verkehrssicherheit mit Haut und Haaren verschrieben, aber die zu vermitteln geht nur in der realen Welt!“ Jetzt gelte es, den Präsenzunterricht und den Ausbildungsrahmenplan zeitgemäß zu gestalten, moderne Unterrichtsmedien clever zu nutzen und die Prüfungsreife unter realen Bedingungen festzustellen.
FV: Der Kunde wählt den Kommunikationskanal
Auch im Vortrag der Fahrlehrerversicherung stand die Digitalisierung im Mittelpunkt. Vorstandsmitglied Stefan Kottwitz beschrieb den Fahrlehrern, wie die berufsständische Versicherung einerseits mit digitalen Informationen automatisierte Prozesse entwickelt und andererseits den Menschen im Mittelpunkt belassen möchte. „Chatbots wie bei anderen Versicherungen wird es bei uns nicht geben“, versprach er. Stattdessen werde der Versicherungskunde in der Zukunft die Möglichkeit haben, auf dem von ihm präferierten Weg, zum Beispiel per Chat, Anruf, E-Mail oder Whatsapp an die Versicherung heranzutreten.
(ms)