Zum 70-jährigen Jubiläum hatte sich der Fahrlehrerverband Hamburg einen besonderen Schauplatz für seine Mitgliederversammlung ausgesucht: Das Autohaus Emil Frey „Küstengarage“ stellte seine Räumlichkeiten zur Verfügung und bildete den passenden Rahmen. Inmitten vieler Volkswagen-Fahrzeuge nahmen am 1. April rund 120 Fahrlehrer Platz und lauschten Sabine Darjus‘ Begrüßung, die zunächst kurz auf die Geschichte des Verbands zurückblickte. 1952 gegründet, hatte dieser in den vergangenen 70 Jahren nur fünf Vorsitzende, „dagegen gab es neun Bundeskanzler“, sagte sie, „bei uns ist also Beständigkeit gefragt“. Man habe immer viel Energie in Fortbildungen gesteckt, um den Mitgliedern einen Wissensvorsprung zu ermöglichen. Außerdem habe man neue rechtliche Regelungen erklärt und den Verband digitaler gemacht, zum Beispiel durch das digitale Verbandsmagazin Fahrlehrer-Info und die frühzeitige Verwendung von QR-Codes.
Autos als entscheidender Mobilitätsfaktor
Laut Martin Bill, Hamburger Staatsrat für Verkehr und Mobilität, hat sich die Hansestadt „ehrgeizige Ziele in der Verkehrspolitik“ gesetzt. Bis 2030 sollen 80 Prozent der Wege im Umweltverbund, also per ÖPNV, zurückgelegt werden, und 20 Prozent per Individualverkehr. Aktuell seien es erst 64 Prozent, „da müssen wir also noch eine Schippe drauflegen“, sagte er. Dennoch seien die 20 Prozent Individualverkehr eine wichtige Zahl, betonte Bill, denn Autos sollen auch 2030 noch „ein entscheidender Faktor der Mobilität“ in Hamburg sein – trotz geplanter Mobilitätswende. Bill sprach weitere heiße Eisen an, die derzeit die Fahrlehrerschaft bewegen: Wie wird etwa der Theorieunterricht der Zukunft aussehen, wie viele digitale Elemente wird es geben und wie viele davon sind gut? Und wie sieht der Führerschein der Zukunft aus? Wird dieser aussehen wie eine Scheckkarte oder reicht es künftig, eine digitale Ausführung auf dem Handy herzuzeigen? „Dank Ihrer guten Ausbildung leisten Sie einen großen Beitrag zur Verkehrssicherheit in Hamburg“, lobte Bill und wendete sich an Sabine Darjus persönlich: „Sie waren 32 Jahre im Vorstand, davon 16 Jahre als Vorsitzende“, sagte er, „die Zusammenarbeit lief stets vertrauensvoll, gut und harmonisch. Sie haben sich immer beherzt für die Fahrlehrerschaft eingesetzt“.
Problem Bewohnerparkplätze
Jörg Oltrogge vom Landesbetrieb Verkehr (LBV) stellt die Jahresentwicklung des Fahrerlaubniswesens vor. So seien 28.208 erstmalige Anträge auf Erteilung einer Fahrerlaubnis gestellt worden, davon die Hälfte online. 9.377 B197-Anträge habe es gegeben. Schwierigkeiten bei der Bearbeitung mache immer wieder der Führerscheinumtausch, der besonders zum Jahreswechsel viele Ressourcen binde. Mitarbeiter müssten dann zum Teil aus anderen Abteilungen abgezogen werden. Die Nichtbestehensquoten seien weiterhin zu hoch, gab er zu bedenken. Zehn Prozent der Fahrschulen, die die höchsten Nichtbestehensquoten haben, würden angeschrieben und um Stellungnahme gebeten - und in der Regel würden diese im Anschluss überwacht. Dies gilt laut Oltrogge auch für Fahrschulen, die eine Nichtbestehenquote über 50 Prozent in der Praxis haben sowie über 40 Prozent in der Theorie.
Sabine Darjus hatte im Anschluss eine Bitte an den Behördenvertreter, die das Bewohnerparken betraf. Fahrschulen würden dadurch keine Parkplätze vor den Fahrschulen bekommen und hätten deshalb große Probleme bei der Ausübung ihres Berufs. Jörg Oltrogge bot an, gemeinsame Lösungen zu finden.
TÜV Hanse: Knapp unter 38.000 Prüfungen 2022
45 Prozent betrug laut TÜV-Hanse-Vertreter Hero Wilters 2022 die Nichtbestehensquote in der praktischen Prüfung insgesamt in Hamburg, in der Fahrerlaubnisklasse B waren es 50 Prozent. „B197 hat daran nichts geändert“, sagte er. 2019 habe es 38.000 praktische Prüfungen gegeben, 2022 sei man etwas unter dieser Zahl gelandet – trotz Prüfzeitverlängerung. Das sei „so schlecht nicht“, sagte Wilters. 80 Coronafälle habe es im vergangenen Jahr beim TÜV Hanse gegeben, gab er zu bedenken, das entspreche 3.000 bis 4.000 Fahrprüfungen. „Wir hoffen, diese 2023 zur Verfügung zu haben.“ Wilters wies darauf hin, dass derzeit der vorläufige Nachweis der Fahrerlaubnis auf dem Handy vorbereitet werde – ein erster Schritt Richtung Digitalisierung. „Das Plastikkärtchen verschwindet nach und nach“, sagte er.
In Ihrem Geschäftsbericht stellte Sabine Darjus die Aktivitäten des Verbands vor. Man sei zum Beispiel aktiv dabei beim Forum Verkehrssicherheit Hamburg, leite den Arbeitskreis Fahranfänger, arbeite mit beim AK Motorrad und wolle den AK Pkw und Nutzfahrzeuge wiederbeleben. Man arbeite an der Weiterentwicklung des Berufsstands, leiste Zuarbeit zu geplanten Rechtsänderungen und berate Menschen, die sich für den Fahrlehrerberuf interessieren. „Dazu bieten wir mindestens einmal im Monat eine Onlineveranstaltung an." Darjus bedankte sich bei Iris Jöns von der Geschäftstelle des Verbands sowie bei Nicole Dirks, der Direktionsbeauftragen der Fahrlehrerversicherung.
„Fahrlehrer weiterhin unverzichtbar“
Thomas Freythaler, reaktivierter Vorstand der Fahrlehrerversicherung, machte es kurz in Hamburg. Nach einem kurzen Schwenk auf den brandneuen Unfalltarif des Branchenversicherers („Warum ist bislang nur das Bike versichert, aber der Fahrer nicht?"), bedankte er sich bei Sabine Darjus: „Wir haben seit 23 Jahren einen guten Kontakt und eine gute Zusammenarbeit“, sagt er.
Kurt Bartels sprang für die BVF in die Bütt. „Mobilität ist weiter wichtig, Fahrlehrer sind weiter unverzichtbar“, sagt er Richtung Staatsrat Martin Bill. Man dürfe das Auto nicht verteufeln, sondern müsse „schlau an der Mobilität arbeiten“. Beim Thema Online-Unterricht wurde der 1. stellvertretende BVF-Vorsitzende emotional: „Auch wenn in Fahrschulen schon viel digital läuft: Unterricht ist Arbeit mit jungen Menschen – und das geht bei vielen Themenbereichen nur in Präsenz“, sagte er. Man brauche aber gute Ergänzungen durch Onlinemedien. Reiner Online-Unterricht tue nicht gut, das sei schon zu Pandemiezeiten in regulären Schulen klar geworden.
Mit Blick auf die künftige Fahrschülerausbildungsordnung wies Bartels auf das Ausbildungskonzept OFSA II und das entsprechende Konzept der BVF hin, das praxisnäher, marktorientierter und auch für kleine Fahrschulen umsetzbarer gestaltet sei. Die Prüfplatzsituation sei vor allem in Ballungszentren weiterhin schwierig, dennoch sprach er sich weiter für die Alleinbeauftragung von TÜV/Dekra aus, denn „eine Menschenprüfung gehört nicht auf den freien Markt“. Es sei besser, die Probleme mit nur einem Partner vernünftig abzusprechen. Zum Ende dankte auch er Sabine Darjus: „Sie hat unglaublich aktiv mitgearbeitet und Maßstäbe bei der Arbeit der Landesverbände gesetzt“, sagte Bartels. Ein Verband brauch ein gutes Team, aber auch jemanden, der „mit Herzblut“ leitet.
Den Verband in die digitale Zukunft geführt
Nach der einstimmigen Entlastung des Vorstands kam es zu einer Änderung der Verbandsatzung: Künftig sind Einladungen zur Mitgliederversammlung auch per Mail möglich. Die schriftliche Einladung wird aber auf Wunsch weiterhin zugesendet. Außerdem wurde beschlossen, dass künftig Mitgliedschaften in anderen Verbänden erlaubt sind.
Dann war es Zeit für Sabine Darjus‘ Abschied. Sie machte es kurz und ließ lieber andere reden: „Es war mit eine Ehre, eure Vorsitzende zu sein. Ich bin dann mal weg – und tschüß!“ Die Laudatio übernahm Michael Witt, zu diesem Zeitpunkt noch 1. Stellvertretender Vorsitzender. Sabine Darjus war seit 1991 2. Stellvertreterin, seit 2001 1. Stellvertreterin und seit 2007 Vorsitzende, und die erste Vorsitzende in der Bundesvereinigung. „Der Abschied fällt uns schwer“, sagte er, „vielen Mitgliedern geht es genauso. Du bist ein Vollblut-Vorstand gewesen und hast viel für den Verband getan, insbesondere hast du diesen in eine digitale Zukunft geführt.“ Man könne heute mit jungen Leuten auf diese Art und Weise kommunizieren. Die Fahrlehrer-Info sei mittlerweile online und ein wertvolles Instrument für Fahrlehrer, TÜV und Behörden.
Darjus habe in der Coronazeit das Gesetzeskauderwelsch aufbereitet und für alle lesbar gemacht. „Deine Devise war dabei Fake News sind bad news“, sagte Witt. Man wolle deshalb im Verband auch in Zukunft keine Schnellschüsse liefern, sondern die Informationen, die man weitergebe, immer kontrollieren. Er hoffe, sie werde in Zukunft mit Rat und Tat zur Seite stehen, sagte Witt.
Michael Witt neuer Vorsitzender
Michael Witt war bei der nachfolgenden Wahl der einzige Kandidat und wurde einstimmig zum neuen Vorsitzenden gewählt. Erster Stellvertreter wurde der bisherige zweite Stellvertreter Bernd Ehlers. Zweite Stellvertreterin wurde Nicole Neubauer, die sich gegen Christoph Ennulat durchgesetzt hatte. Passend zur digitalen Ausrichtung des Hamburger Verbands wurde in Christopher Kurre auch ein Beauftragter für Digitalisierung gewählt. Sabine Darjus wurde Ehrenvorsitzende des Verbands. Nach seinem Dank ans Autohaus Küstengarage bedankte sich Michael Witt für das Vertrauen. „Ich will den Verband weiter in die Zukunft führen“, sagte er.
Sein 70. Jubiläum feierte der Fahrlehrerverband Hamburg nach der Mitgliederversammlung mit einem gemeinsamen Abendessen in einer spektakulären Location: in der „Elbkuppel“ im Hotel Hafen Hamburg. Rund 130 Gäste genossen das Essen und den Blick auf Elbphilharmonie und Hafengeschehen – und ließen den Abend mit einer Party ausklingen.