Über diesen Fall berichtet unter anderem das Portal kostenlose-urteile.de: Im März 2021 stürzte ein Motorradfahrer auf einer Straße in Niedersachsen, weil er aufgrund einer Vollbremsung des vorausfahrenden Fahrzeugs selbst stark bremsen musste und dabei ins Rutschen kam. Grund für die Vollbremsung war ein entgegenkommender Mercedes, der einen Müllwagen überholte. Die Mercedes-Fahrerin achtete dabei nicht auf den Gegenverkehr, obwohl die Straße an der Stelle eine leichte Rechtskurve aufwies. Der Motorradfahrer klagte gegen die Halterin des Mercedes und deren Haftpflichtversicherung auf die Zahlung von Schadenersatz.
Anscheinsbeweis anwenden
Das Landgericht Verden wies die Klage ab: Der Kläger habe seinen Sturz allein zu verschulden. Der Beklagten sei risikoreiches Überholen nicht vorzuwerfen. Der Kläger legte Berufung ein. Das Oberlandesgericht Celle entschied zum Teil zu Gunsten des Klägers: Er könne 40 Prozent seines Schadens ersetzt verlangen, da die Beklagte gegen Paragraf 6 Abs. 1 StVO verstoßen habe. Jedoch spreche ein Anscheinsbeweis auch für einen Verkehrsverstoß des Klägers, so das Gericht weiter. Auch, wenn es nicht zu einer Kollision zwischen Motorrad und vorausfahrendem Fahrzeug kam, seien die Grundsätze des Anscheinsbeweises bei Auffahrunfällen anzuwenden. Gelingt es einem Verkehrsteilnehmer nicht, rechtzeitig auf die wahrgenommene Gefahrenlage zu reagieren und lediglich durch einen Sturz eine Kollision mit dem vorausfahrenden Fahrzeug zu verhindern, spreche wie im Fall einer Auffahrkollision die Lebenserfahrung dafür, dass das eigene Fehlverhalten (zu geringer Abstand oder Unaufmerksamkeit) Ursache für den Sturz ist.
Deshalb habe der Kläger den deutlich höheren Verantwortungsanteil als die Beklagte. Dabei sei zu beachten, dass das vorausfahrende Fahrzeug noch rechtzeitig habe bremsen können, ohne dass es zu einer Kollision mit dem Mercedes kam.
Oberlandesgericht Celle
Aktenzeichen 14 U 32/23