Bereits bei der Eröffnung des internen Teils gab der Verbandsvorsitzende Jochen Klima einen Überblick zu den vielen Themen, mit denen sich das Fahrschulgewerbe aktuell beschäftigen muss: „Corona samt Auslauf der Sonderregelung, natürlich aber auch die Rückforderungen der Corona-Unterstützung haben viele Kolleginnen und Kollegen vor große Herausforderungen gestellt“, so Klima. Mit „#MeToo“, nach einem sehr einseitigen Beitrag von Jan Böhmermann im Magazin Royal, hätte es einen weiteren Aufreger gegeben. Doch es gäbe auch ganz praktische Themen, wie der Verbandschef weiter erläuterte. „Etwa die Aufnahme der Fahrassistenzsysteme in die praktische Ausbildung und Prüfung, neue Anforderungen für die Motorrad-Schutzbekleidung oder das Positionspapier der Bundesvereinigung zur BKF Aus- und Weiterbildung.“
Recht erfolgreich ist der FLVBW beim Thema Mitgliedergewinnung. Ein eigener, neu geschaffener Arbeitskreis hat zahlreiche Vorschläge erarbeitet, die bereits fruchten. Als einer von wenigen Landesverbänden können die Baden-Württemberger mit Stand April 2024 einen Mitgliederzuwachs verzeichnen. Dazu passt dann auch ein neuer Internet-Auftritt, der seit 15. April online ist – klarer strukturiert, nutzerfreundlicher und mit noch mehr praktischen Inhalten.
Zu den generellen Themen erläuterte Jochen Klima, dass nach derzeitigen Erhebungen die Anzahl der BF17-Bewerber signifikant abnimmt. „Über die Gründe, warum aus einem Erfolgsmodell ein Ladenhüter wird, kann man nur spekulieren“, so Klima. „Dafür scheint sich die Reform des Fahrlehrergesetzes auszuzahlen – wenn auch nicht bei der rückläufigen Anzahl an Fahrschulen, so doch bei der Zahl der angestellten Fahrlehrer, insbesondere der Fahrlehrerinnen.“ Wie der Verbandsvorsitzende außerdem erläuterte, würden die Zahlen nicht belegen, dass große Fahrschulen überproportional zunehmen würden. „Den Trend zur Großfahrschule gibt es unserer Ansicht nach nicht“, so Klima.
„Dafür wurde der Kampf um Kunden von einem Kampf um Fahrlehrer und Prüfungsplätze abgelöst.“ Der Verbandschef beklagte außerdem den mit Mitte 55 relativ hohen Altersdurchschnitt in der Branche.
Im Rahmen der anstehenden Wahlen und Änderungen wurde Philipp Küsters (23), angestellter Fahrlehrer und reguläres Mitglied im Verband, einstimmig als neuer Rechnungsprüfer gewählt. Eine nötige Satzungsänderung im Bereich Abmahnungen wurde ebenso einstimmig angenommen, wie eine neue Beitragsänderung mehrheitlich goutiert wurde. Detaillierte Infos finden sich dazu auf der neuen Verbands-Website. Im Rahmen der offenen Diskussion verabschiedete sich der ehemalige Verbandsvorsitzende Gebhard L. Heiler von der aktiven Teilnahme: „In meinem fortgeschrittenen Alter weiß man nicht, wie lange man noch fahren kann oder darf – und mit dem Zug bin ich nie gefahren.“ Heiler ist seit 65 Jahren Mitglied im FLVBW!
Von einem Mitglied kam die Frage, warum der Verband daran festhalten würde, dass nur der TÜV Prüfungen abnehmen dürfe und warum man sich einer Öffnung verschließe und „mauern“ würde. Jochen Klima erläuterte dazu: „Wir mauern doch gar nicht! Die Verkehrsminister-Konferenz der Länder hat in einem Beschluss gesagt, dass die Länder da nicht mitspielen. Erst müsste man sich Zugangswege und andere Themen ansehen. Die Änderung des Sachverständigen-Gesetzes ist nicht geeignet, den ‚Missstand‘ zu beseitigen.“ Klima ergänzte außerdem, dass es kein Monopol, sondern eine Alleinbeauftragung wäre. Abschließend gab es noch eine Wortmeldung aus dem Auditorium samt Lob für den TÜV, dass alles gut klappen würde – mit deutlichem Applaus aus den Reihen der Mitglieder.
Eine weitere Wortmeldung gab es zur praktischen CE-Ausbildung, weil es immer schwieriger würde, Grundfahraufgaben zu bewältigen, da Anwohner sich beschwerten und alles zuparkten. Klima riet, das Thema mit dem zuständigen Kreisvorsitzenden des FLVBW zu besprechen – der Verband würde auf jeden Fall helfen, in solchen Fällen auf die Politik zuzugehen. Ein weiterer Punkt betraf das Problem der durch B197 wachsenden Fuhrparks, weil man anders die Schaltkompetenz nicht
schulen kann. Jochen Klima verwies auf die Bemühungen der Landesverbände sowie der Bundesvereinigung nach einer Lösung, wie es sie bereits bei CE gegeben hat.
Darlehen statt echte Hilfe
Im öffentlichen Teil der Mitgliederversammlung spannte der Verbandsvorsitzende einen weiten Bogen: „Die Corona-Pandemie liegt zum Glück hinter uns. Die Schlussabrechnungen der Corona-Hilfen brachten jedoch viele kleinere Unternehmen in Schwierigkeiten, weil es eben keine echte, selbstlose Hilfe war, sondern nur ein verzinstes Darlehen.“ An den anwesenden Minister Winfried Hermann gewandt meinte Klima: „Eine Landesregierung, die so mit dem Mittelstand umgeht, muss sich über die Politikverdrossenheit und die Abwendung vieler Menschen von den demokratischen Parteien nicht wundern.“
Wie zu erwarten, thematisierte der Verbandsvorsitzende auch die aktuellen Artikel und Beiträge sowie die Bundestagsaussprachen zum Thema Führerscheinkosten. Klima rechtfertigte die Anpassung der Entgelte durch massive Kostensteigerungen bei Fahrzeugen, Löhnen, Mieten, Reinigung, Energie und anderem mehr. Klima wörtlich: „Genau das wird nun offensichtlich von jenen Kritikern übersehen, die in nostalgischer Sinnestäuschung die heutigen Kosten und die Anzahl der bis zur Prüfungsreife erforderlichen Fahrstunden mit ihrer oftmals schon vor Jahrzehnten durchlaufenen Fahrausbildung vergleichen.“ Die Behauptung, der prozentuale Anstieg der Führerscheinkosten läge weit über der Inflationsrate, verwies Klima ins Reich der Märchen.
Stattdessen hätte der Gesetzgeber über die allgemeinen Kostensteigerungen hinaus durch die Verlängerung der praktischen Prüfung oder die in die Prüfung aufgenommene obligatorische Nutzung der im Auto vorhandenen Fahrerassistenzsysteme für höheren Aufwand gesorgt. Klima brachte aber auch einen praktischen Vorschlag mit, wie die Fahrerlaubnis wieder günstiger werden könnte: „Etwa eine analog zu den C- und D-Klassen ausgesetzte Umsatzsteuer. Das wäre bei angenommenen 3.500 Euro bei der Klasse B 558,82 Euro niedrigere Kosten. Da verdient der Staat also kräftig mit ...“
Mit Hinweis auf OFSA II (FAHRSCHULE berichtet bereits mehrfach) geht Jochen Klima ebenfalls davon aus, dass es zusätzlichen Aufwand geben wird, den die Fahrschulen nicht zum Nulltarif leisten können. „Deshalb – so meinen wir – ist es eine klare Aufgabe der Politik, dies der Bevölkerung schon heute offen zu sagen und nicht hinterher erneut über die schon wieder gestiegenen Führerscheinkosten zu lamentieren.“
Selbstverständlich ging der Verbandsvorsitzende auch auf das Thema „hohe Nichtbestehensquoten“, vor allem bei der Theorieprüfung, ein – laut TÜV SÜD in Baden-Württemberg 43,5 Prozent aller Bewerber. In einem Beitrag der ZDF-Sendung Frontal vom 19. März 2024 wurde dies unter dem Titel „Wo Fahrschulen versagen“ thematisiert. Ein Vertreter des TÜV Rheinland verstieg sich zur Behauptung, daran seien einzig und allein die Fahrschulen und ihre „miserable“ Ausbildung schuld. „Diese Behauptung darf nicht unwidersprochen bleiben“, so Klima. Die Gründe für die hohen Nichtbestehensquoten sind sehr vielschichtig.“ Klima führte dazu unter anderem den riesigen, teilweise veralteten Fragenkatalog auf, ein nachlassendes Lese- und Sprachverständnis in weiten Teilen der Bevölkerung, der Verzicht auf eine längere Sperre nach dreimaligem Nichtbestehen oder auch das problematische Verhalten mancher Eltern, die eine Prüfung einfordern, obwohl die Lern-App keine Prüfungsreife anzeigt. Nicht zu vergessen, dass heutigen Fahrschülern oftmals Verkehrserfahrung als Mitfahrer bei den Eltern, Fußgänger oder Radfahrer abginge.
An den Minister gewandt beklagte Klima außerdem, dass ein Großteil der 44 Fahrerlaubnisbehörden im Land unter Fachkräftemangel leiden würden. „Das führt dazu, dass die Bearbeitung von Fahrerlaubnisanträgen oft viele Wochen, ja manchmal sogar mehrere Monate dauert. Problematisch ist, dass deshalb nachträgliche Änderungen des Prüfauftrags, beispielsweise beim Wechsel von B auf B197, oft genauso lange dauern. Ihr Ministerium hat den Vorschlag der Fahrlehrerschaft, die praktische Prüfung auch dann zu erlauben, wenn im Prüfauftrag die Schlüsselzahl 197 nicht hinterlegt ist, bereits mehrfach abgelehnt. In anderen Bundesländern – wie zum Beispiel in Hessen – funktioniert das hingegen problemlos.“ Nach Ansicht von Klima könnte auch die vorläufige Fahrerlaubnis (VNF) Linderung bringen. So würden in Hamburg nach bestandener Prüfung künftig keine Kartenführerscheine mehr ausgegeben. Stattdessen gibt es eine VNF, mit der ein Bewerber nach bestandener Prüfung trotzdem gleich losfahren kann.
Zum Thema Cannabis meinte Klima abschließend: „Null Komma null – analog zum Alkoholverbot für Fahranfänger – wäre im Sinn der Verkehrssicherheit definitiv die bessere Wahl gewesen.“
Themaverfehlung?
Leider ging Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann nur in wenigen Teilen auf die Themen von Jochen Klima ein. Stattdessen konstatierte er, dass es zu Zeiten seiner Fahrerlaubniserteilung, 1970, „noch ein unbeschwertes Fahren war. Wir haben nicht an Umweltschutz gedacht. Wir wollten Freiheiten genießen.“ Allerdings starben zu dieser Zeit rund 20.000 Menschen auf den Straßen der BRD. Hermann stellte die abgelaufene „Team Vision Zero“-Aktion des Verkehrsministeriums vor, die auch freiwillige Selbsttests von Senioren zum Ziel hatte. „Wir setzen auf Selbstkompetenz, unter anderem mit Sport- und Sehtests. 2024 ist allerdings die Landstraße das Thema, weil dort die meisten Unfälle passieren. Unser Motto ist ‚Runter mit dem Tempo‘, also eher Tempo 80 als Tempo 100.“ Zum Thema mangelnde Verkehrskompetenz junger Menschen erläuterte Hermann die neue Kampagne „Movers“ – selbstaktiv und sicher zur Schule – ganz ohne Elterntaxi. „Wir müssen dafür sorgen, dass die Wege sicher sind. Aber die Kinder müssen eigeninitiativ zur Schule kommen.“
Hermann riet den anwesenden Fahrlehrerinnen und Fahrlehrern dazu, „multimodal zu denken und zu agieren“. „Sie müssen den Fahrschülern vermitteln, dass es auch andere Formen der Fahrzeugnutzung gibt, wie Carsharing. Sie müssen die Leute nicht zu Autofahrern machen, sondern zu Mobilitätsnutzern …“
Den typischen Vergleich Äpfel mit Birnen zog Hermann beim Thema CE-/DEAusbildung. „Warum kostet die Fahrerlaubnisin Baden-Württemberg 10.000 Euro und in Vorarlberg 2000 Euro? Wir müssen darüber nachdenken, wo Kosten entstehen, und wie können wir diese senken – was kann man vereinfachen, was muss aus Gründen der Verkehrssicherheit bleiben?“ Auch bei einem weiteren Statement des Verkehrsministers weiß man nicht so recht, wie man es einordnen soll: „Ich bin überzeugt, dass Simulatoren helfen, die Kosten zu senken – gerade in der Anfangsphase! Aber natürlich werden wir wichtige Fahraufgaben nicht digitalisieren ...“
Auch bei seiner letzten Aussage, zu den gestiegenen Preisen, machte sich Winfried Hermann wahrscheinlich nicht allzu viele Freunde: „Die Kosten sind ein Problem und die hohen Durchfallquoten. Aber mit Verlaub, es gibt kein anderes System, wo die Hälfte durchfällt. Da muss etwas nicht stimmen – zugegeben mit vielfältigen Gründen. Wir müssen uns das im Detail ansehen, aber das muss sich ändern. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir die Leute unter anderem in puncto Sprachkompetenz besser vorbereiten.“